"Wir wollen lernen!" - Elternwahlrecht und individuelle Schulbildung ab Klasse 5

Peinliche Schlappe für Schwarz-Grün: Experten-Anhörung im Schulausschuss   

Die Anhörung der von den Fraktionen eingeladenen Sachverständigen vor dem Schulausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am 2. Juli 2009 wurde gleich in doppelter Hinsicht zu einem heißen Abend für Schwarz-Grün:

Während die Temperaturen draußen und im großen Reimarus-Saal der Patriotischen Gesellschaft Hamburg noch bei über 25 °C lagen, wurde bei der Anhörung der 6 von den Fraktionen benannten Sachverständigen schnell deutlich, dass es für die Primarschul-Pläne von Schwarz-Grün keine wissenschaftliche Grundlage gibt:

Professor Dr. Tillmann, der von der GAL benannt war und sich nach der Sitzung freundschaftlich (Hand auf die Schulter) von Senatorin Christa Goetsch und dem Leiter ihrer Planungsgruppe, Dr. Hans-Peter De Lorent (doppelter Händedruck) verabschiedete, musste auf Befragen einräumen, dass es keine klare wissenschaftliche Untersuchung gebe, die belegen würde, dass ein 6-jähriges „gemeinsames Lernen“ besser sei als die gegenwärtige 4-jährige Grundschule in Hamburg. Tillmann befürwortete ausdrücklich die Einführung des – auch von der Volksinitiative „Wir wollen lernen!“ unterstützten – 2-Säulen-Modells mit Stadtteilschulen und Gymnasien. Klare Vorbehalte äußerte Tillmann aber zugleich mit Blick auf die Frage, ob die Primarschul-Pläne in der Praxis und unter dem von Schwarz-Grün-Senat gegebenen Zeitdruck überhaupt realisierbar seien. Tillmann hierzu wörtlich:

„Es ist immer ein weiter Weg von Papieren der Schulbehörde zur pädagogischen Praxis!“ 

Martin Friedland, der als Vorsitzender des Kreiselternrates Nord von der SPD als Experte eingeladen war, betonte zutreffend die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder. Friedland kritisierte insbesondere die geplante Abschaffung des Elternwahlrechts und betonte zugleich, dass das

Recht der Eltern auf sachliche Information von der Behörde „mit Füßen getreten“

werde. Seit Senatorin Goetsch im Amt sei, so erläuterte Friedland, erhielten die Hamburger Eltern ausnahmslos einseitige Broschüren und Schulbriefe, die mit dem Recht der Eltern auf umfassende Information nicht zu vereinbaren seien. Friedland berichtete ferner von einer repräsentativen Umfrage unter den 200 Elternräten des Kreises Nord, von den 126 Elternräten aus allen Schulformen und Altersstufen, die an der Umfrage teilgenommen haben, haben sich danach 71 % mit einem klaren „Nein!“ gegen die Primarschul-Reform ausgesprochen. Noch deutlicher haben sich die Eltern in dieser Umfrage zu der von Schwarz-Grün geplanten Abschaffung des Elternwahlrechts geäußert: Selbst unter den Elternräten, die sich grundsätzlich die Einführung einer Primarschulreform vorstellen könnten, sei die große Mehrheit gegen die Abschaffung des Elternwahlrechts. Die einhellige Auffassung als Ergebnis der Umfrage lautet deshalb:

„So bitte nicht!“ 

Schließlich wies Friedland zutreffend auf das Ergebnis der Lernstandsuntersuchung LAU 5 hin: Diese bestätigt, dass in Hamburg auch und gerade Eltern mit geringeren Bildungsabschlüssen dazu tendieren, die von den Lehrkräften vergebenen Schulformempfehlungen in der 4. Klasse zu korrigieren und ihre Kinder gegebenenfalls auch ohne Gymnasialempfehlung auf ein Hamburger Gymnasium zu schicken. Die soziale Selektivität von Lehrkräfteentscheidungen könne also durch das Elternwahlrecht deutlich abgemildert werden.  

Deutliche Kritik an den unausgegorenen Reformplänen äußerte auch Klaus Bullan, der als Vorsitzender der GEW Hamburg von der Fraktion DIE LINKE als Experte geladen worden war: Bullan kritisierte, dass bisher weder die Finanzierung der Reformpläne noch die Besoldungsfrage geklärt sei. Es sei klar, dass eine Strukturreform wie die Einführung der von Schwarz-Grün geplanten Primarschulen nur funktionieren könne, wenn die Lehrkräfte davon überzeugt seien. Dafür sei es aber erforderlich, die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte zu verbessern und bereits vor der Einführung der Primarschule sicherzustellen, dass die im Rahmen der tatsächlichen Vergütung der Lehrkräfte entscheidende sog. Faktorisierung aller Lehrerstellen in einer Primarschule gleich sei, alle Lehrkräfte also für ihren jeweiligen zeitlichen Einsatz auch gleich vergütet würden. Da nach der gegenwärtigen Planung ein erheblicher Teil der Lehrkräfte aus den weiterführenden Schulen mit einer höheren Besoldung als die gegenwärtigen Grundschullehrer in die Primarschulen kommen sollten, müsste eine solche Anpassung am obersten Faktor stattfinden. Anderenfalls drohe eine Demotivation der Lehrkräfte. Jede Reform wäre in einem solchen Fall zum Scheitern verurteilt. Ferner betonte Bullan, es bestehe die große

Gefahr, dass Stadtteilschulen zu Resteschulen werden.

Gerade Stadtteilschulen, an denen es keine eigene Oberstufe geben werde, liefen Gefahr, von den Eltern nicht mehr angewählt zu werden und so dasselbe Schicksal zu erleiden wie schon heute die Hauptschulen. 

Peinlich für die CDU-Parlamentarier wurde es, als im Rahmen der Vorstellungsrunde bekannt wurde, wen die Verantwortlichen der CDU als "Sachverständige" eingeladen hatten: Frau Professorin Dr. Sieglind Ellger-Rüttgardt, Behindertenpädagogin aus Berlin, die gleich zu Beginn der Anhörung einräumte, dass sich ihre Erfahrung mit den Hamburger Schulen darauf beschränke, ihre eigenen drei Kinder vor Jahren im Hamburger Schulsystem gehabt zu haben, und Frau Hack-Mertins, pensionierte ehemalige Schulleiterin der Grundschule Bei der Katharinenkirche. Damit war von Beginn an deutlich: Die

CDU-Mitglieder des Schulausschusses hatten den „Weichspülgang eingeschaltet“

und wollten die Sachverständigen-Anhörung ersichtlich gar nicht zur Klärung sachlicher Fragen nutzen. Die zahlreichen anwesenden Eltern waren deshalb auch wenig überrascht, dass von der Seite der CDU-Mitglieder im Ausschuss nur wenige Fragen gestellt wurden. Peinlich für die CDU: Selbst die von der CDU benannte Frau Hack-Mertins, ehemalige Schulleiterin der Schule Am Katharinenhof, einer Grundschule, in der vor einigen Jahren für einige Jahrgänge ein Schulversuch einer sechsjährigen Grundschule durchgeführt worden war, musste auf Nachfrage von Ties Rabe (SPD), dem Vorsitzenden des Schulausschusses, einräumen, dass viele Eltern, die bei Beginn des Schulversuches noch begeistert und engagiert gewesen seien, ihre Kinder nach Klasse 4 wieder aus dem Schulversuch und von der Schule abmeldeten. Ferner musste Frau Hack-Mertins auf Befragen einräumen, dass der Schulversuch nur mit jeweils zwei eher kleinen Klassen durchgeführt wurde und deshalb für Hamburg nicht repräsentativ sei.

Professor Dr. Reinhard Uhle, der von der SPD als Experte geladen worden war, befasste sich näher mit dem Text des vom Schwarz-Grün-Senat vorgelegten Gesetzentwurfes: Uhle arbeitete heraus, dass sich die Verfasser des Entwurfstextes schwerpunktmäßig nur mit der Primarschule befasst hätten und die Aufgaben der Stadtteilschulen und Gymnasien nach dem Entwurf völlig unklar blieben. Indiz  für die möglicherweise dahinterstehende Absicht einer Gleichschaltung beider Schulformen sei, dass sich als Hinweis auf die Aufgaben der Stadtteilschulen und Gymnasien in beiden Fällen im Gesetzentwurf die Aufgabendefinition finde, dass diese Schulformen eine grundlegende und vertiefte Bildung vermitteln sollten. Uhle kritisierte ferner, der vorgelegte Gesetzentwurf berge ein erhebliches

Risiko, dass Hamburg sich aus der Bundesentwicklung und den Vorgaben der Kultusminister-Konferenz (KMK) abkoppele:

Während bisher im Einklang mit den KMK-Beschlüssen für Hamburg vorgesehen sei, dass sich der Unterricht an den Bildungsstandards orientiere, die in den Rahmenplänen festgelegt seien, spreche der jetzt von Schwarz-Grün vorgelegte Gesetzentwurf nur noch von der Vermittlung von „Kompetenzen“ – einem unbestimmten Begriff, hinter dem sich Alles, aber auch Nichts verbergen könne.

Fazit:

Betrachtet man den Verlauf der mehr als vierstündigen Sachverständigen-Anhörung, die Auswahl der Personen, die von der CDU als vermeintliche Sachverständige für die Primarschul-Pläne benannt worden sind, und die Gespräche, die viele Eltern im Anschluss an die Sitzung mit den CDU-Parlamentariern im Ausschuss geführt haben, drängt sich die Frage auf:

Weshalb vermitteln die CDU-Parlamentarier gegenwärtig einen so unkritischen Eindruck?

Liegt es unter Umständen auch daran, dass die CDU-Parlamentarier, wenn sie im Bürgerschaftswahlkampf einen aussichtsreichen Listenplatz haben wollten, einen Betrag in Höhe von mindestens einer monatlichen Abgeordneten-Diät (2.326,00 EUR) für diesen Platz an die Partei „spenden“ mussten (Näheres z. B. unter: Spiegel Online vom 28.12.2007: „Hamburgs CDU fordert Geldspende für guten Listenplatz“)? Wir hoffen nicht. Denn der Gedanke, dass Bürgerschaftsabgeordneten der Erhalt der Koalition als „Return on Investment“ für die Investition in ihren Sitz im Parlament wichtiger sein könnte als die Zukunft der Kinder unserer Stadt, wäre unerträglich

Eine positive Entwicklung, die zum Kippen der unausgegorenen Primarschul-Päne führen kann, zeichnet sich jedoch bereits ab: Ties Rabe, der Vorsitzende des Schulausschusses, teilte im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung mit, dass es in Kürze auch eine Öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf geben soll.

Das vollständige Wortprotkoll der Sitzung finden Sie hier.